Durch den Verkauf unserer „Refugees Welcome“-Soliartikel ist eine beachtliche Summe zusammengekommen. Da wir im Kollektiv beschlossen haben das Geld an antirassitisch arbeitende Gruppen vor Ort zu geben, geht ein Teil davon an die „Antirassistische Initiative Münster“. Sie wird eine neue Lautsprecheranlage für Demonstrationen kaufen, welche ausdrücklich auch für andere Menschen aus der linken Bewegung zugänglich sein soll.
Um euch die Arbeit der AIM vorzustellen, haben wir mit Markus ein Interview geführt.
Du engagierst dich in der Antirassistischen Initiative Münster (AIM). In eurem Selbstverständnis schreibt ihr, dass alle Menschen dort leben können sollen, wo sie leben wollen. Die Realität sieht bisweilen leider anders aus. Flucht wird erschwert, Menschen illegalisiert und kriminalisiert, Abschiebungen stehen auf der Tagesordnung. Wie schätzt du die aktuelle Situation in Münster ein?
Zunächst mal ist mir wichtig hervor zu heben, dass die Menschen, die in den letzten Monaten die Festung Europa gestürmt haben, unsere uneingeschränkte Solidarität haben. Sie sind nicht ausschließlich arme Flüchtlinge, die auf eine Kleiderspende warten. Sie haben das, wovon wir und viele andere träumen, wahr werden lassen: sie haben die Grenzen der Festung Europa niedergerissen. Dafür sollten wir in erster Linie dankbar sein. Daraus ergibt sich für uns die Aufgabe, die universellen Rechte der Geflüchteten zur Geltung zu bringen. Selbstverständlich ist eine Willkommenskultur wie sie sich in Münster zeigt sehr sehr wichtig und ein deutliches Zeichen. Aber wir dürfen hier nicht stehen bleiben. Diese Willkommenskultur muss politisiert werden, was bedeutet, dass wir neben der karitativen Unterstützung der Menschen, auch aktiv für ihre Rechte eintreten müssen.
Zur Situation in Münster: Ja, wir verfügen über eine enorm starke Willkommenskultur in derStadt. Wir haben eine Politik, die sicher ein bisschen humaner mit Geflüchteten umgeht als viele andere Kommunen. Aber das reicht noch lange nicht und hält uns nicht davon ab die Politik auch scharf zu kritisieren. Weil das kleine bisschen, was hier besser läuft, längst nicht ausreicht für ein selbstbestimmtes Leben der Menschen. Und es ist auch nicht vom Himmel gefallen, sondern musste erkämpft werden, in erster Linie durch die Betroffenen selbst, deren Kampf all zu oft übersehen wird. Zuletzt: auch aus Münster werden Menschen unter unwürdigen Umständen abgeschoben. Und jede Abschiebung ist ein Akt der Unmenschlichkeit und muss verurteilt werden. Auch in Münster gibt es regelmäßig bürokratische Hindernisse, die den Betroffenen das Leben erschweren. Auch in Münster gibt es skandalöse Unterbringung von Geflüchteten. Hier muss immer wieder auf allen Ebenen protestiert und Widerstand geleistet werden.
Wo liegen momentan die Schwerpunkte eurer Arbeit? Gegen was oder wen richtet sich euer Protest?
Unser Widerstand richtet sich gegen eine Politik, die die Grundrechte von Geflüchteten systematisch einschränkt und beschneidet und das in einer Art und Weise, wie es seit 20 Jahren nicht mehr geschehen ist. Ohne auf jede einzelne Schweinerei einzugehen, muss deutlich gemacht werden, dass das humanitäre Gesäusel einer Bundeskanzlerin nichts wert ist, wenn die von ihr geleitete Bundesregierung fast im Wochentakt damit beschäftigt ist, das Leben von Geflüchteten zu verschlechtern bzw. deren Integration unmöglich zu machen. Was ist von einer Politik zu halten, die die „Sicherung der EU-Außengrenzen“ von anderen Staaten wie Griechenland fordert? Diese Sicherung kann im Klartext nur bedeuten, dass den Schlauchbooten, die die griechischen Inseln erreichen, die Luft raus gelassen wird, damit die sich darin Befindenden absaufen. Sie bedeutet letztlich nichts anderes, als was die AFD-Vorsitzende Petry, unter lautem Protest der herrschenden Politik, gefordert hat: einen Schießbefehl an den Außengrenzen. Aber die Menschen, die unter lebensgefährlichen Umständen ihre Heimat verlassen, werden sich durch nichts davon abhalten lassen nach Europa zu kommen. Weder von immer neuen Zäunen die errichtet werden, noch von bewaffneten Polizist_innen. Und das ist ihr gutes Recht. Zudem betreibt die EU eine Politik, die mitverantwortlich für ihre Flucht ist. Das bedeutet, dass sich unser Protest sowohl gegen staatliche wie kommunale Politik richtet. Uns ist dabei wichtig, dass wir von unserem Selbstverständnis her von dieser Politik nichts fordern oder gar erbitten. Wir möchten vielmehr die unmittelbar Betroffenen unterstützen, selbstverantwortlich ihre Rechte einzufordern und mit ihnen gemeinsam für ein menschenwürdiges Leben kämpfen. Ein Leben ohne Grenzen, die Menschen von einander trennen und künstliche staatliche Gebilde sind, die wir ablehnen und niederreißen wollen.
Nicht nur auf staatspolitischer Ebene werden rassistische Entscheidungen getroffen, wie nicht zuletzt das verabschiedetet Asylpaket II zeigt. Auf Pegida-Demonstrationen entladen sich nationalistische, rassistische Einstellungen auf den Straßen und die Gewalt gegen Geflüchtete nimmt drastische Ausmaße an.
Es ist im Moment kaum möglich und auch nicht wünschenswert, bei einer Stellungnahme zur aktuellen Flüchtlingspolitik, den offen zu Tage tretenden Rassismus in Deutschland zu übergehen. Es vergeht ja kaum ein Tag, an dem nicht irgendwo im Land (und hier möchte ich betonen, keinesfalls nur in Sachsen) Geflüchtetenunterkünfte angegriffen, Menschen beleidigt oder attackiert werden und offen rassistische Kundgebungen oder Demonstrationen stattfinden. Dies ist gerade zum unerträglichen Normalzustand geworden. Ich fürchte, wir haben uns bereits zu sehr daran gewöhnt oder wollen nicht immer daran erinnert werden. Wir müssen uns aber bewusst machen, dass da nicht irgendwelche Stiefelnazis am rechten Rand ihr Unwesen treiben. Dieser Rassismus kommt aus der Mitte der Gesellschaft. Hier ist es wichtig sich auch über seine eigenen rassistischen Anteile bewusst zu werden, statt sie an den rechten gesellschaftlichen oder geographisch östlichen Rand zu schieben. Es ist der Rassismus, der schon immer in dieser Gesellschaft virulent war und jetzt offener als je zu vor zu Tage tritt. Ich selbst habe den Eindruck, dass unsere Gesellschaft in einer derart ausgeprägten Form polarisiert ist, wie ich es in meiner langjährigen politischen Arbeit noch nicht erlebt habe. Denn anders als in anderen Spannungsfeldern und Themen, die radikale Linke besetzen, wie Atompolitik oder Militarismus, wird hier von Akteur_innen der Rechten die menschliche Existenz in grundsätzlicher Form in Frage gestellt. Und mit diesen Menschen kann und möchte ich auch nicht mehr reden, auch wenn ich gestehen muss, dass ich keine Idee habe, wie wir das Problem anders lösen sollen. Was wir aber auf keinen Fall zulassen dürfen ist, dass sie in unerträglicher Weise die politische Diskussion bestimmen und Politiker_innen vor sich hertreiben, die dann – in auffallender Analogie zu den 90er Jahren – Gesetze verabschieden, die den Menschen, denen unsere uneingeschränkte Solidarität gehört, das Leben ständig weiter erschweren bzw. dafür sorgen, dass Menschen, die vor Krieg und Elend fliehen, keine Zuflucht mehr bekommen sollen. Wie weit das gesamte politische Spektrum inzwischen nach rechts gerückt ist, zeigt die Tatsache, dass die Partei Die Linke inzwischen schon die Politik einer Angela Merkel verteidigt. Wir müssen unsere Stimme erheben, laut widerstehen und offen bekennen wo wir uns positionieren. Wir müssen Sand im Getriebe des rassistischen Normalzustandes sein.
Erinnerst du dich an ein schönes Erlebnis in Zusammenhang mit deiner antirassistischen Arbeit? Was macht dir Mut?
Gerne erinnere ich mich an die Aktionen, die sich im Frühjahr 2015 rund um die Wartburgschule in Münster ereigneten. Vor allem an die Solidarität, die für alle Beteiligten spürbar war. Die von Abschiebung bedrohten Menschen wurden wirklich ernst genommen. Wie wir gemeinsam mit ihnen auf Plena diskutiert, wie wir mit ihnen gemeinsam demonstriert und wie wir abends mit ihnen gefeiert und getanzt haben. Das war etwas, was mich sehr berührt hat und ich so noch nie zuvor erlebt habe. Umso schrecklicher war es dann später von Abschiebungen von zuvor kennengelernten Menschen zu erfahren. Und dennoch bleibt das Gefühl, dass das, was sich damals ereignete, nicht umsonst war. Ich glaube, dass es für die Betroffenen eine wichtige Erfahrung war, dass es gelebte Solidarität im Gegensatz zu institutioneller Kälte und brutaler Bürokratie gibt. Für viele Aktive war es ein einschneidendes Erlebnis, das sie nachträglich prägte und auch motiviert weiter zu kämpfen. Dazu könnte ich noch sehr viel mehr berichten, was aber hier den Rahmen sprengen würde.
Der direkte Kontakt auf Augenhöhe, wie du ihn beschreibst, anstatt ein paternalistisches Agieren, sollte viel mehr gelebte Praxis werden. Wie können Interessierte zu euch stoßen?
Wer sich in antirassistischer Arbeit engagieren möchte, der_dem bieten sich in Münster sehr viele Möglichkeiten. Neben der Antirassistischen Initiative und einigen anderen gibt es noch die Gruppe grenzfrei und das Bündnis gegen Abschiebung. Uns erreicht mensch am besten über E-Mail an initiative_ms@riseup.net. Wir freuen uns immer über neue Mitstreiter_innen.