Seit einigen Jahren schon vertreiben wir zapatistischen Kaffee und haben einige persönliche Kontakte zu Menschen, die Solidaritätsarbeit für Chiapas machen. Und auf die eine oder andere Weise sind wir in linken Kontexten natürlich ohnehin mit dem Aufstand in Chiapas in Berührung gekommen. Daher freuen wir uns, euch heute die Organisation vorzustellen, die von deutscher Seite Leute für die Menschenrechtsbeobachtung in Chiapas und internationale Begleitung in Guatemala vorbereitet: CAREA (CAdena para un REtorno Acompañado).
In diesem Kontext werden wir 5 % unseres Umsatzes in dieser Woche, also zwischen dem 19. und dem 25.10.2015, an CAREA spenden.
Heike und Christoph, vielen Dank, dass ihr die Zeit für ein kleines Interview habt. Was genau macht CAREA denn eigentlich?
Christoph: Vielen Dank erst einmal für euer Interesse und für die Möglichkeit, dass wir uns mal bei euch vorstellen können. Super auch, dass ihr den Kaffee der Zapas verkauft. Viele von uns haben einen besonderen Bezug zu diesem Produkt, weil sie Kaffebäuer*innen persönlich getroffen und die Kollektive kennen gelernt haben. Jetzt aber mal zu dem „Wir“ und zu unseren Aufgaben.
CAREA bereitet jährlich Dutzende Freiwillige auf ihre Arbeit vor. Ich würde das als unsere Kernaufgabe bezeichnen. In mehrtätigen interaktiven Workshops erhalten Freiwillige einen Einblick in die Geschichte, soziale Situation und das politische System der jeweiligen Länder, werden interkulturell sensibilisiert und diskutieren Widersprüche und Herausforderungen internationaler Solidaritätsarbeit. Die Vorbereitung der Freiwilligen wird bei den Entsendeorganisationen vor Ort sehr geschätzt. Zuhause angekommen, können Freiwillige Ihre Erfahrungen in Nachbereitungsseminaren reflektieren und aufarbeiten.
In Infoveranstaltungen lassen wir Expert*innen zu Wort kommen und ermöglichen interessierten Personen einen fundierten Einblick in die Situation vor Ort. Dabei sind bei uns Expert*innen Menschen, die die Situation vor Ort an der eigenen Haut erfahren. Sie müssen nicht dicke Bücher geschrieben haben.
Gemeinsam mit zahlreichen anderen Organisationen und Partner*innen analysieren wir in diversen Arbeitskreisen die aktuellen Herausforderungen, koordinieren die Zusammenarbeit und bereiten Treffen mit politischen Entscheidungsträger*innen vor. Die Unterstützung der begleiteten Zivilgesellschaft durch politische Arbeit in Deutschland ist ein wichtiger Bestandteil unserer Strategie. Vor Ort besuchen wir Menschenrechtsorganisationen, aber auch staatliche Menschenrechtsinstitutionen und berichten. Zudem besuchen wir regelmäßig die Botschaft und Institutionen der EU. In Deutschland sind wir ebenfalls mit anderen Hilfswerken und Organisationen in Kontakt und diskutieren beispielsweise regelmäßig mit dem Auswärtigen Amt. Denn wir können die Augen verschließen wie wir wollen – es ändert nichts daran, dass europäisches und deutsches Kapital und europäische Politik diese Megaprojekte mittragen.
Warum ausgerechnet Guatemala und Chiapas?
Heike: Aus beiden Ländern gab und gibt es Anfragen zu Menschenrechtsbeobachtung und schützender Begleitung. In Guatemala hat peace brigades international (pbi) dieses Konzept in den 1980er Jahren aufgebaut. Man machte dort die gute Erfahrung, dass die Präsenz von internationalen Friedensgruppen lokale und nationale MenschenrechtsverteidigerInnen schützt. Damit dieses Konzept wirklich funktioniert, wird es mit internationaler Öffentlichkeitsarbeit sowie der Vernetzung mit anderen Menschenrechtsorganisationen verbunden. In den 1980er Jahren sind viele guatemaltekische Campesinos (Bauern) vor den Militärdiktaturen nach Chiapas in Mexiko geflüchtet. 1992 organisierten guatemaltekische Flüchtlinge ihre Heimkehr aus den Flüchtlingslagern in Chiapas und baten um internationale Schutzbegleitung. Dafür reichte das pbi Friedensteam in Guatemala mit 12 Leuten aber nicht aus. Also gründeten internationale Guatemala-Solidaritätsgruppen Organisationen, um die Begleitung zu gewährleisten, in Deutschland CAREA.
Christoph: Unsere Arbeit war also von Anfang an eng mit Chiapas und Guatemala verbunden. 1993 schickte CAREA bereits die ersten internationalen Freiwilligen um die vor dem Bürgerkrieg nach Chiapas Geflüchteten bei ihrer Rückkehr nach Guatemala zu begleiten. Das gibt auch unser Name wieder: “CAdena para un REtorno Acompañado”. Was “Kette für eine begleitete Rückkehr” bedeutet. Die Metapher der Kette soll die Kontinuität der Begleitung unterstreichen. Diese Kette verbindet aber auch direkt die beiden Regionen in denen wir arbeiten.
Ein weiteres wichtiges Thema wurde mit der Zeit die geschichtliche Aufarbeitung des internen bewaffneten Konflikts, der 36 Jahre von 1960-1996 das Land lähmte. Diesem Konflikt fielen 200 000 Menschen, meist indigene Personen, zum Opfer und 50 000 gelten als verschwunden.
Eine Wahrheitskommission fand heraus, dass 93 % der Verbrechen dem Militär zugeschrieben werden können. Viele mächtige Menschen, die also vieles zu vertuschen haben. Wir begleiten Personen und Organisationen, die Täter*innen systematisch vor Gericht bringen und deswegen bedroht werden. Und wir begleiten Zeug*innen. Am 10. Mai 2015 wurde Ríos Montt, Militärdiktator von 1982 bis 1983, zu 80 Jahren Haft wegen Genozids und Verbrechen an der Menschheit verurteilt. Ein großer Tag für die Bewegung, weil in seiner kurzen Regierungszeit die meisten Verbrechen stattfanden. Das Urteil wurde aber nur 10 Tage später aufgrund vorgeschobener Verfahrensfehler aufgehoben und das Verfahren läuft weiter.
Ein immer wichtigeres Thema sind sozio-ökologische Konflikte, also Konflikte um Landnutzung beispielsweise. In Guatemala gibt´s bereits unzählige Megaprojekte wie Minen, Staudämme und Plantagen und Dutzende weitere Lizenzen für solche und ähnliche Projekte. Viele Menschen wehren sich gegen Vertreibung, Umweltverschmutzung, Verletzung indigener Rechte und Korruption. Diese Menschen werden bedroht und stark kriminalisiert. Alleine zehn Aktivist*innen, die ich begleitet habe, sitzen im Gefängnis unter fadenscheinigen Anklagen. Sie wurden nicht verurteilt, sondern befinden sich in Prozessen, die systematisch hinausgezögert werden. Eine unmenschliche psychische, soziale und finanzielle Belastung für die Menschen vor Ort. Sie können nicht arbeiten und die Familien haben weite Anreisen um die politischen Gefangenen zu besuchen. Regelmäßig kommen Aktivist*innen um, ohne dass ernsthafte Ermittlungen stattfinden.
Heike: In Chiapas begann die mexikanische Regierung einen Krieg der Aufstandsbekämpfung nach dem Aufstand der Zapatistas 1994. 1995 drang die mexikanische Armee in viele indigene Dörfer ein. Die Erfahrung des Schutzes durch Menschenrechtsbeobachtung existierte schon (zumindest weil es den GuatemaltekInnen geholfen hat). Anders als in Guatemala war in Mexiko auch Schutz durch die nationale Zivilgesellschaft möglich. Der beste Schutz ist aber eine Kombination von beidem, sowohl durch MexikanerInnen aus den Städten als auch Internationale.
Das damals zur Diozöse San Cristobal gehörende Menschenrechtszentrum Fray Bartolome de las Casas, Fray Ba, organisierte auf Anfrage der betroffenen Dörfer Karawanen, Brigaden und Friedenscamps. Bald merkten sie aber, dass immer wieder Menschen dazu kamen, die nicht gut vorbereitet waren. Deshalb stellten sie 1998 eine Anfrage an CAREA und andere internationale Organisationen, Leute für die Menschenrechtsbeobachtung vorzubereiten. Die Erfahrung zeigt, dass in Chiapas die Angriffe auf Gemeinden in denen Menschenrechtsbeobachter*innen präsent sind, fast nicht stattfinden. Und wenn etwas doch passiert, wird es schnell bekannt und dadurch Schlimmeres verhindert. Dazu kommt der psychologische Effekt: Die Campesin@s haben die Möglichkeit in Ruhe ihrer Arbeit nachzugehen, wenn sie wissen, dass sie nicht alleine sind.
Für uns als Menschenrechtsbeobachter*innen kommt dazu, dass wir von den Dörfern lernen: ihre Ideen, Organisation und Kämpfe für eine gerechtere Welt … wir nehmen einiges mit, auch für unsere sozialen Bewegungen in Europa. Es ist ein direktes Voneinander-Lernen.
Wie sieht die Aufgabe der Menschenrechtsbeobachter*innen in Guatemala und Chiapas konkret aus?
Heike: Zuerst melden wir uns beim Fray Ba in San Cristobal. Hier nehmen wir an einer kurzen Vorbereitung teil und werden für verschiedene Gemeinden eingeteilt. Wir erhalten Einblick in die Berichte derjenigen, die vor uns dort waren. Dann machen wir oft noch Einkäufe, je nach Gemeinde kaufen wir Lebensmittel vor Ort oder bringen sie mit. In der Regel gehen wir zu zweit oder dritt und bleiben 2 Wochen vor Ort. Am nächsten Tag geht’s los: mit Bus, Taxi, Pickup Trucks, teilweise auch zu Fuß. In einigen Gebieten besuchen wir erst ein Caracol, eines der 5 Zentren der Zapatistas, und sprechen dort mit deren Regierung. Sie teilen ein, in welche Gemeinde wir genau geschickt werden. So nach ein oder zwei Tagen sind wir dann angekommen. Manchmal sind wir bei einer Familie zu Gast, meistens aber hat das Dorf ein Haus für Gäste und MenschenrechtsbeobachterInnen gebaut. Diese nennen sie auch “zivile Friedenscamps”. Die Tage verbringen wir mit einfachem Leben, wie Kochen mit Feuerholz, Wasser holen, Wäsche waschen, baden. Oft spielen wir mit den Kindern, die uns gerne besuchen. Manchmal gibt es Gespräche mit Leuten aus der Gemeinde. Meistens ist unser Leben sehr ruhig, die Präsenz wirkt einfach durch sichtbares Da-Sein. Aber es gibt auch Orte in denen wir Bewegungen des Militärs beobachten und dokumentieren: Fahrzeuge und Soldaten bzw. bewaffnete Zivilpersonen, Einschüchterungen etc., um all dies später dem Fray Ba zu melden. In sehr sehr seltenen Fällen kam es trotz Anwesenheit zu angespannten Situationen und die Menschenrechtsbeobachter*innen entscheiden dann mit den Verantwortlichen der Gemeinden, was sie tun: Bleiben, Abreisen, Infos raus bringen, Leute auf der Flucht begleiten…
Christoph: In Guatemala werden die Freiwilligen von ACOGUATE – Acompanamiento Internacional in Guatemala“ in Empfang genommen. Sie werden eine Woche lang intensiv vorbereitet. ACOGUATE wurde 2000 von elf Komites aus zehn Ländern – zwei kommen aus den USA – gegründet und arbeitet in unterschiedlichen Regionen. Neben einer allgemeinen Schulung zur Situation in Gautemala, bekommen die Freiwilligen separate Schulungen zu den Regionen in denen sie arbeiten werden. Anschließend gehen die Freiwilligen zu zweit in den Einsatz. Eine erfahrene Person ist immer dabei und stellt die Person den begleiteten Personen und Organisationen vor. Erklärt aber auch die Wege dorthin. Das kann nämlich auch mal richtig kompliziert sein. Irgendwann verlässt die erfahrene Person die Region und die neue ist dann die erfahrene. So ist Kontinuität gewährleistet. Nach ca. fünf Wochen kommen wir dann vom Einsatz zurück und nach ca. einer Woche gehen die Teams wieder in die Regionen. Der Mindestaufenthalt bei Einsätzen in Guatemala ist daher drei Monate. Also zwei Einsätze in den Regionen. Wir empfehlen aber mindestens sechs Monate, weil erst danach die Situation für einen begreifbar wird und einem die begleiteten Menschen Vertrauen schenken.
CAREA feiert diesen Monat 20. Geburtstag. Wie ihr sagtet, könnt ihr als Erfolg sicherlich verbuchen, dass die Präsenz erkennbar Wirkung zeigt bzw. bei Konflikten meist Schlimmeres verhindert werden kann. Wo würdet ihr ansonsten Erfolge oder auch Misserfolge von 20 Jahren Begleitung sehen?
Heike & Christoph: Als einen wichtigen Erfolg sehen wir, dass unsere Begleitung immer mehr angefragt wird. Das zeigt uns, dass wir einen wichtigen Beitrag zur friedlichen Bewältigung von Konflikten beitragen können. In solchen angespannten Situationen in denen wir arbeiten und leben ist es schon ein Erfolg, dass es unter uns keine Todesopfer und keine körperlichen Verletzung gab. Allerdings gibt es immer wieder Drohungen und Diffamierungen gegen internationale Menschenrechtsbeobachter*innen.
Ein wichtiger Erfolg ist die steigende Akzeptanz unserer Arbeit auch bei politischen Institutionen. Wie bereits erwähnt werden wir von der Botschaft in Guatemala regelmäßig eingeladen um unsere Sicht dazustellen. Durch die unmittelbare Nähe zu Menschen und Organisationen können wir wichtige Perspektiven einbringen. In Deutschland steigt die Akzeptanz auch.
In Bezug auf Chiapas sind wir etablierter Bestandteil der deutschen Menschenrechtskoordination Mexiko, die auch von Politiker*innen ernst genommen wird. Zudem sind wir ein kleiner, aber wichtiger Baustein für die Erfolge der begleiteten Menschen und Gemeinden. Für uns ist ein Erfolg, dass sozialen Bewegungen wie die Zapatistas in Chiapas, ihre Dörfer und Strukturen weiterentwickeln können.
Aber es ist auch total schön, dass wir diesen Monat unseren 20. Geburtstag als Verein feiern können, dort interessante Vorträge hören, zu coolen Bands tanzen werden und viele nette und interessante Menschen treffen.
Und wie seht ihr die Entwicklung in Guatemala? Ihr sagtet, dass in Guatemala aufgrund der Kriminalisierung und des Todes von Aktivist*innen von einem “Aufflammen des bewaffneten internen Konflikts” die Rede ist. Rios Montt wurde immerhin verurteilt, aber dann das Urteil wieder aufgehoben.
Im September waren Wahlen in Guatemala, am 25. Oktober findet der zweite Wahlgang für den Präsidenten statt, da es keinen eindeutigen Gewinner gab. Kurz vor den Wahlen gab es die größte Demonstration in der Geschichte Guatemalas, vor allem das Thema “Korruption” überschattet scheinbar alles, auch die Frage, ob die Wahlen überhaupt legitim sind. Es gab viele Rücktritte auf den höchsten Regierungsebenen, und es gibt keine aussichtsreichen Kandidat*innen, die nicht in Zusammenhang mit Korruption gebracht werden …
Gibt es unterm Strich mehr Licht oder mehr Schatten?
Christoph: Das sind sehr viele Fragen! Erstens: Natürlich ist das Urteil gegen Rios Montt und Rodriquez Sanchez ein großer Erfolg. Es steht schwarz auf weiß, dass in Guatemala Verbrechen begangen wurden. Die Gegenseite ist aber auch sehr mächtig und die werden alles geben, dass die beiden Angeklagten außerhalb eines Gefängnisses sterben und nicht in Haft. Trotzdem: Die Menschen, die dafür gekämpft haben, haben viel geschafft. Auch wenn nicht alles.
Auch zum zweiten Punkt gibt es keine einfache oder eindeutige Antwort. Es ist bewundernswert, dass trotz eines schwachen Staates und eines schwachen Justizapparates Personen mit hohen Posten zurücktreten mussten und sich nun einem Gerichtsverfahren ausgesetzt sehen. Damit sind nicht alle gesellschaftlichen Probleme gelöst, die Zivilgesellschaft hat aber Macht demonstriert. Auch sich selbst. Die nächsten Politiker*innen werden das vor Augen haben.
Kurz: Ich kann dir nicht sagen, ob es mehr Licht oder mehr Schatten gibt. Es gibt Licht und das macht uns Hoffnung.
Ihr sagtet, dass in den 1980er Jahren viele Guatemaltek*innen nach Chiapas flüchteten. Gibt es einen feststellbaren Einfluss von mehr als 20 Jahren Aufstand in Chiapas auf das nahe gelegene Guatemala?
Heike: Das kann ich nicht direkt sagen. Wobei immer, wenn ich mit Aktivist*innen in Guatemala, Salvador und Honduras spreche, entdecke ich viel Interesse, oft Bewunderung, für Zapatist@s – aber keinen direkten Einfluss.
Christoph: Ich würde sagen, dass es den auf jeden Fall gibt! Viele Menschen sehen genau, was die Zapatist*innen und die lokale Zivilgesellschaft alles erreicht haben. Viele Menschen haben während ihres Aufenthaltes in Chiapas Gemeinden und Menschen getroffen, die aktiv in der Zivilgesellschaft sind. Es gibt einen Austausch und beide Seiten wollen voneinander lernen, leider ist das unter den gegenwärtigen Lebensbedingungen schwierig und nur wenigen möglich.
Wer die Reisehinweise des Auswärtigen Amtes sieht, wird vielleicht nicht direkt nach Guatemala wollen, gerade wenn es dann auch noch um die Begleitung von Menschen geht, die durch die Begleitung geschützt werden sollen. Wie beurteilt ihr selbst die Gefährdung?
Heike: Die allgemeine Kriminalität in Guatemala ist sehr hoch und Raubüberfälle gehören zum Alltag. Das schreckt zurecht viele Leute ab. Das beeinträchtigt auch für uns die Bewegungsfreiheit und Sicherheit. Aber da unsere Präsenz deutlich die Sicherheit der Begleiteten erhöht, gehen wir hin. Wir müssen dabei aber mehr Einschränkungen unseres Privatlebens hinnehmen, die Sicherheitslage genauer analysieren und entsprechende Massnahmen ergreifen … Dadurch werden auch die Beziehungen mit Botschaften und internationalen Organisationen nochmal wichtiger.
Christoph: Wir müssen aber auch sehen, wer in größter Gefahr lebt. Es ist meist die arme Bevölkerung, die der größten Gefahr ausgesetzt ist. Tourist*innen setzen sich natürlich auch einem gewissen Risiko aus, das ist aber nicht damit vergleichbar, welche Gefahren beispielsweise indigene Frauen in bestimmten Gebieten erleben oder was Flüchtlinge auf dem Weg nach Norden aushalten müssen. Die Statistiken geben das nur indirekt wider. Wir genießen einen gewissen Schutz durch unsere Herkunft und unseren Pass. Das sind unsere Privilegien, mit denen sich Menschenrechtsbegleiter*innen auseinandersetzen müssen, aber mit denen auch gearbeitet werden kann.
Kommen wir mal zu einer ganz praktischen Frage, die für viele Veganer*innen von Bedeutung sein könnte: Wie gut kann ich vegan in Guatemala (PDF) und Chiapas über die Runden kommen?
Heike: Die meisten Leute hier leben unfreiwillig meistens überwiegend vegan. Allerdings bekommen Gäste oft Eier. In Chiapas kochen wir in den Dörfern meistens selbst, das ist also auch kein Problem. Schwierig wird es wenn wir zu Festen eingeladen werden. Denn dann werden Tiere geschlachtet und es ist den meisten Leuten unverständlich, wenn wir da nicht mitessen. Ich persönlich bin Vegetarierin und habe bei Festen oft eine Ausnahme gemacht. Zumal meine Argumente des Keine-Tier-Essens dort unsinnig werden. Tiere leben im Dorf mit den Menschen, sehr viel freier als in Deutschland, fressen was lokal produziert wird, und gehören so in den natürlichen Kreislauf, meine ich.
Christoph: Diese Frage habe ich mir auch gestellt, als ich nach Guatemala ging, weil ich auch vegan lebte. Das habe ich mehr oder weniger sechs Wochen durchgehalten. Die Leute waren aber immer sehr irritiert. Nachdem ich um ein Frühstück ohne Ei gebeten habe und Kuchen bekam, habe ich es dann aber aufgegeben. Ich war hauptsächlich vegan aus politischer und ethischer Überzeugung und war dann, als ich hier wieder ankam, doch irritiert, dass es für viele Menschen mehr um Fitness ging als um Tierrechte. Mir wurden dann meine Privilegien, sich so intensiv mit meinem Essverhalten auseinandersetzen zu können, radikal bewusst. Das heißt nicht, dass es dadurch seine Legitimation verliert. Es ist einfach kompliziert. Veganer*innen, die nur wegen ihres Lifestyles und ihres Body-Mass-Indexes „verzichten“, nerven mich. Vor dem Einsatz waren mir diese Life-Styles einfach egal, heute sind sie für mich auch ein Synonym unserer Konsumgesellschaft. Einer Konsumgesellschaft, die zu den Katastrophen und Konflikten an vielen anderen Orten mitverantwortlich ist. Auch ein unreflektierter Veganismus ändert aus meiner Sicht nichts daran. Wie dem auch sei: Solche Einsätze regen zum Nachdenken über gesellschaftliche Verhältnisse und eigene Privilegien an.
Aber ich will noch einen anderen praktischen Aspekt erwähnen. Es ist wahr, dass viele Tiere auf den Höfen leben. Aber es gibt auch noch eine andere Seite. Es sind unglaublich grausame Tiertransporte unterwegs und es herrscht eine gewisse Respektlosigkeit vielen Lebewesen gegenüber. Diese allgemeine Gewalt ist sehr präsent. Hier gibt´s diese Gewalt natürlich auch, aber versteckt hinter Fabrikwänden und speziell ausgebauten LKWs. Hier ist das Wegschauen einfacher. Ich muss mich immer wieder an diese Anblicke und diese Gewalt gewöhnen, vor allem weil es eine gewisse Hilflosigkeit und Verzweiflung weckt.
Derzeit verbreitet ihr einen Spendenaufruf (PDF): Mögt ihr nochmal kurz erzählen, warum und wofür ihr Geld benötigt?
Heike: Wir arbeiten alle ehrenamtlich oder für geringe Aufwandsentschädigung. Geld brauchen wir für Büromiete und Material, Reisekosten der Referent*innen zu Vor- und Nachbereitungsseminaren und Vereinstreffen. Übernachtung und Verpflegung. Reisekosten für Vernetzungstreffen und Fortbildungen um die Qualität unserer Arbeit zu gewährleisten. Einen Teil des Geldes bekommen wir über Anträge von Stiftungen und Hilfswerken, aber bei jeder Maßnahme muss ein Eigenanteil gezahlt werden. Außerdem sind uns Spenden wichtig um die Abhängigkeiten von diesen großen Geldgebern zu vermeiden.
Christoph: Ein Großteil der Gelder wird aber auch an die Organisationen vor Ort gehen. Die brauchen auch immer Geld um ihre Arbeit vor Ort auf einem hohen Niveau gewährleisten zu können. Die Repressionen steigen, die solidarische Arbeit zu Zentralamerika aber nicht unbedingt. Das macht vielen Menschen Sorgen. Mit kleinen Spenden versuchen wir dem entgegen zu wirken.
Heike und Christoph – ich danke euch für das Interview!
Wenn ihr jetzt selbst Interesse an Menschenrechtsbeobachtung in Guatemala oder Chiapas habt: Dieses Jahr finden noch zwei Vorbereitungsseminare statt – eines zu Chiapas und das andere zu Guatemala
Wie erwähnt, benötigen CAREA und die Organisationen vor Ort finanzielle Unterstützung: Spenden könnt ihr hier loswerden!
Alternativ freuen wir uns über euren Besuch in unserem Shop – wie schon geschrieben gehen 5 % unseres Umsatzes diese Woche an CAREA!