In der aktuellen Ausgabe der La Vita fiel uns ein Artikel ins Auge, von dem wir dachten, dass er es durchaus verdient hat, von mehr Menschen gelesen zu werden als nur denen, die die La Vita kaufen. Sicherlich ist es wichtig, die vegane Lebensweise bzw. “vegan lifestyle” zu promoten, aber wenn unsere Aktivitäten sich darin erschöpfen, das neueste vegane Produkt zu hypen und uns nen Ast abzufreuen, wenn es Wilmersburger im Reformhaus um die Ecke gibt, ist das schon ein wenig traurig. Wir halten Lebenshöfe für einen wichtigen Teil der Bewegung. Sie zeigen, wie es anders gehen kann, nehmen Tiere aus Tierbefreiungen auf oder solche, die gefunden, freigekauft etc. werden. Das kostet leider auch viel Geld und es wäre schön, wenn sich mehr Menschen entscheiden würden, Lebenshöfe zu unterstützen – mit Geld, Sachspenden, Mitarbeit …
Veganer Lifestyle, Tierbefreiung und Lebenshöfe
Im letzten Jahr hat Free Animal an mehreren veganen Events und Straßenfesten teilgenommen. Neben positiven Erlebnissen ist leider eine Menge Frust über die Resonanz auf unsere Infostände zurückgeblieben. Auf veganen Märkten geben die Besucher*innen viel Geld für kommerzielle Produkte aus, aber am Infostand werden wir immer wieder gefragt, ob „der Aufkleber“ umsonst sei, dass die „La Vita“ etwas kostet, löst Verwunderung aus, selbstgemachte Pralinen, die wir verkaufen, werden gern probiert und auch für gut befunden, aber einige Euro für eine Tüte auszugeben, scheint nicht drin zu sein. Wir fragen uns, wohin der Tierbefreiungsgedanke und mit ihm auch die Lebenshöfe steuern. Drohen die Befreiung der Tiere als politischer Kampf und eventuell die Tiere gleich mit im großen bunten „vegan lifestyle“ unterzugehen?
Das Bewusstsein für Lebenshöfe als Projekt der gesamten Tierbefreiungsbewegung fehlt unserer Einschätzung nach oftmals. Einige Leute müssen die Höfe betreiben und vor allem die praktische Arbeit machen, aber alle sollten sich mit dafür verantwortlich fühlen und die Höfe auch finanziell unterstützen. Es nützt nichts, wenn wir am Infostand zu hören kriegen „toll, was ihr(!) da macht“, „finde ich super, dass es sowas gibt“. Vielmehr ist es nötig, dass diejenigen, die dies äußern, auch einfach mal ein paar Euro für die Lebenshöfe geben. Das ist leider alles andere als selbstverständlich. Die Tiere müssen essen, sie brauchen Einstreu, tierärztliche Behandlungen, Hufpflege, Ställe müssen ausgebessert werden etc. Und das kostet leider viel Geld. Wenn ein Stoffbeutel am Stand 4,50 kostet, liegt das daran, dass der „Gewinn“ eben dringend für die Höfe benötigt wird. Bei veganen Events nehmen BesucherInnen ohne mit der Wimper zu zucken hin, dass sie 6 Euro für den Döner auf den Tisch legen müssen und versuchen nicht zu handeln, weil man eben weiß, kein Geld, kein Döner. Bei uns aber wird gedruckst und gezögert und versucht, doch noch einen Aufkleber oder Button umsonst rauszuschlagen.
Eine weitere Erkenntnis, die wir – nicht nur – von den Veganevents des letzten Jahres mitgenommen haben: Mit Veganismus kann man sich beschäftigen, ohne „Tiere“ überhaupt zu erwähnen. Unreflektiert machen auch vegan lebende Menschen das Vegansein zu einer reinen Lebensstilfrage, die gern auch mal versteckt wird, um unangenehmen Diskussionen aus dem Weg zu gehen. Zur Überwindung der Tierausbeutung trägt diese Taktik sicher nicht bei. Wie auch? Dadurch wird ja niemand angestoßen, gesellschaftliche Zustände und das Mensch-Tier-Verhältnis zu hinterfragen. Das vegane Würstchen ist dann eine weitere Variante neben dem aus Fleisch, aber dass andere überhaupt Fleisch essen, wird eben nicht als der Skandal benannt, der es ist.
Uns stellt sich die Frage, warum Menschen vegan werden, wie sie ihren Veganismus sehen, was sie als notwendig erachten, damit Tiere tatsächlich frei sein können und ihre Ausbeutung überwunden werden kann, und ob „Ausbeutung“ für die durchschnittlichen VeganerInnen eigentlich noch eine Kategorie ist. Bei all der schönen Diskussion ums vegane Kochen und Shoppen lässt sich nämlich wunderbar vergessen, dass Veganismus keine Lebenseinstellung an sich ist, sondern zumindest in der Vergangenheit die praktische Umsetzung einer viel umfassenderen politischen Notwendigkeit war: nämlich des Einstehens für die Rechte der Tiere und des Kampfes für ihre Befreiung aus der Ausbeutung durch den Menschen. Und dazu gehört sich mit dieser Ausbeutung auseinanderzusetzen, die dahinter stehenden Zusammenhänge und Strukturen zu verstehen und für ihre Überwindung zu streiten.
In unserer Gesellschaft wird alles zur Ware, so auch Veganismus und die vielen bunten veganen Produkte, über die wir uns alle freuen. Natürlich ist es angenehm, wenn man in jedem Supermarkt seine Soja- oder Getreidedrinks und Tofuburger bekommt. Fatal ist es jedoch, wenn man so naiv ist zu glauben, dies sei ein großer Fortschritt hin zu einer Gesellschaft, in der es den Tieren grundlegend besser ginge, oder zu meinen, diese Produkte würden aufgrund eines Bewusstseinswandels hinsichtlich der Tiere bei den Unternehmen angeboten. Genauso wie die Tiere, die als Schnitzel, Frühstücksjoghurt oder Bio-Ei im Supermarkt angeboten werden, lediglich Waren sind, deren einziger Zweck es ist, diejenigen, die die Unternehmen besitzen, reicher zu machen, sind auch vegane Produkte für die Produzenten ein Marktsegment, mit dem sich inzwischen Geld verdienen lässt und das darum gern mitgenommen wird. Warum sollte ein Hersteller oder eine Supermarktkette nicht auch Tofuwürstchen mit ins Angebot aufnehmen, wenn es sich lohnt? Dann liegen neben den Schweinewürsten eben auch solche aus Tofu oder Seitan im Regal. Man sollte jedoch nicht der irrigen Annahme unterliegen, dies hätte irgendetwas mit den Schweinen oder dem Tofu oder der Haltung der Supermarktkette gegenüber beiden zu tun. Sicher sind die kleinen veganen Unternehmen, bei denen ein, zwei Leute, die selbst TierrechtlerInnen sind, ein Geschäft oder Restaurant betreiben, etwas anderes. Aber deren Marktanteil ist gegenüber den großen Unternehmen verschwindend gering.
Tierbefreiung ist ein politischer Befreiungskampf und wie bei anderen Befreiungsbewegungen muss auch dieser Kampf öffentlich ausgetragen werden, die Befreiung der Tiere muss in, mit und auch gegen die Gesellschaft erstritten werden. Wir als Gesellschaft sind dafür verantwortlich, dass die Beherrschung der Tiere weiterhin besteht. Genauso können wir alle dazu beitragen, das Mensch-Tier-Verhältnis zu verändern. Und denjenigen, die die Realitäten der Tierausbeutung stützen, davon profitieren, aber auch denjenigen, die sie hinnehmen, müssen wir immer wieder genau diese Realitäten präsentieren und sie auffordern, ihr Handeln zu ändern. Leider gibt es viel zu viele VeganerInnen, die meinen, mit ihrem Lifestyle-Shopping-Vegansein sei alles getan. Mit veganen Mahlzeiten, die nur lecker genug sein müssen, veganen Supermärkten und dem Wunsch, nicht als „nervige“, „extreme“ VeganerInnen anzuecken, kann man jedoch keine Ausbeutungsverhältnisse verändern. Wir werden die Tiere nicht durchs Shoppen befreien, sondern nur durch einen grundlegenden Wandel im Bewusstsein, in der Gesellschaft und in unserem Wirtschaftssystem.
Dies alles ist nicht schön, ist nicht einfach, ist nicht spaßig. Es ist anstrengend, nervig, frustrierend, oft mit Ängsten, Verzweiflung und dem Gefühl, nicht mehr zu können oder zu wollen, verbunden. Manchmal wünscht man sich, dichtzumachen und Spaß daran zu haben, sein Leben im Einkaufszentrum zu verbringen. Aber eine andere Gesellschaft lässt sich nicht als Lebensstil mal so nebenbei mit erreichen. Die Befreiung der Tiere und eine Änderung der Verhältnisse, die Tiere milliardenfach das Leben kosten, erfordert politisches Denken und Handeln, setzt voraus, dass mensch sich über wirtschaftliche und gesellschaftliche Zusammenhänge informiert und hinter die schöne Fassade auch des veganen Shoppings und Lifestyles blickt.
Zur Unterstützung der Lebenshöfe kommen wir trotz alledem nicht umhin, aufs schnöde Geld zu schauen. Wie oben erwähnt, brauchen die dort lebenden Tiere Essen, medizinische Versorgung, ihr Zuhause muss instandgehalten werden, und all das ist nur gegen Geld zu haben. Dafür dass diese Tiere in Würde und mit der Freiheit, die unter den gegenwärtigen Bedingungen für sie möglich ist, bis an ihr natürliches Lebensende versorgt sind, sollten sich die gesamte Tierbefreiungsbewegung und auch alle anderen VeganerInnen verantwortlich fühlen. Warum ist es nicht selbstverständlich, dass jedeR BesucherIn des veganen Weihnachtsmarkts oder Street Day ein, zwei oder fünf Euro für die dort anwesenden Höfe und Projekte spendet, dass der Kuchen anstatt bei einem kommerziellen Stand an dem eines Vereins oder einer Initiative gekauft wird? Oder dass, wer sich das leisten kann, eine Patenschaft für ein Tier übernimmt oder regelmäßig spendet? Lebenshöfe sind schließlich auch ein Zeichen an diese Gesellschaft, in der Tiere kaum eine Überlebenschance haben. Ein Zeichen dafür, wie der Übergang zu einer Welt ohne Tierausbeutung aussehen könnte. Und dies gilt es zu stärken und weiterzuentwickeln. Vielleicht ist das nicht so bunt und spaßig wie vegane Events. Der Veganismus gewinnt sein Potential, die Verhältnisse so zu ändern, dass die Tiere irgendwann frei sein können – und es Lebenshöfe gar nicht mehr geben muss – jedoch nicht als Lifestyle, sondern nur als ein bewusster Bestandteil der Befreiung der Tiere.
Anke Guido
2. Vorsitzende
Free Animal e. V.
Dieser Artikel erschien zuerst in der La Vita 01/2013, der Zeitschrift von Free Animal e. V.
Free Animal wurde 1996 gegründet, um die wirtschaftliche Existenz von Lebenshöfen zu sichern, auf denen Tiere ihr Leben frei von Nutzung und Ausbeutung bis an ihr natürliches Ende verbringen können. Mittlerweile unterstützt Free Animal e. V. bundesweit sieben Lebenshöfe sowie weitere private Initiativen und Projekte. Über 450 Tiere haben dadurch bis an ihr Lebensende ein sicheres Zuhause, darunter Pferde, Ziegen, Schafe, Esel, Hunde, Katzen, Kaninchen, Meerschweinchen, Hühner, Gänse und Tauben. Weitere Informationen über den Verein gibt es auf der Webseite www.free-animal.de und auf der Facebook-Seite von Free Animal.
Die Unterstützung der Lebenshöfe ist nur durch die finanzielle Hilfe der Mitglieder, SpenderInnen, PatInnen und Fördermitglieder von Free Animal e. V. möglich. Die Bankverbindung des Vereins lautet:
Nassauische Sparkasse Wiesbaden
BLZ: 510 50015
Konto 11 30 60 425
(IBAN: DE29 5105 0015 0113 0604 25, BIC: NASSDE55XXX)
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Free Animal e. V. ist als gemeinnützig und besonders förderungswürdig anerkannt. Die Spende kann steuerlich geltend gemacht werden.