Heute hat die Internationale Grüne Woche in Berlin begonnen. Anlässlich dieser Messe war schon im letzten Jahr das Aktionsbündnis Grüne Woche demaskieren vor Ort mit zahlreichen Aktionen präsent. Auch für dieses Jahr haben sie sich einiges einfallen lassen – einige Aktionen sind auch schon im Vorfeld der Messe gelaufen.
Trotz all der Vorbereitungen hatten einige Menschen aus dem Bündnis tollerweise auch kurz vorher noch Zeit, uns ein paar Interviewfragen zu beantworten:
Der VEBU schreibt, die „Internationale Grüne Woche Berlin 2015 setzt auf ‚vegetarisch-vegan'“. Braucht es „Grüne Woche demaskieren“ jetzt noch?
Natürlich! Die Formulierung des VEBU ist weit übertrieben. Das vegan-vegetarische Segment spielt auf der Grünen Woche nur eine unbedeutende Rolle – es handelt sich lediglich um ein Zusatzangebot, das wohl auch neue Besucherklientel anlocken soll. Ebenso wenig, wie man aus der Existenz der „Biohalle“ auf eine Agrarwende schließen kann, ebenso wenig zeigt die Integration der pflanzlichen Ernährungsweise eine grundlegend veränderte Einstellung zur Tiernutzung. Im Zentrum der Messe steht nach wie vor das Marketing für Tierprodukte und industrielle Landwirtschaft. Dagegen richtet sich unsere Kritik.
Dass die Messe das Thema veganer/vegetarischer Ernährung ausdrücklich aufnimmt, ist natürlich insofern erfreulich, als es eine gesellschaftliche Entwicklung anzeigt, die wir begrüßen. Zu sehr sollte man sich aber nicht darüber begeistern – denn bislang handelt es sich eindeutig um einen Nischenmarkt. Wir haben schon andere Booms gesehen und ob dieser nun vorhält, verbleibt noch zu sehen. Die Bedeutung des veganen Marktes zu überschätzen, hieße in eine altbekannte Falle des Kapitalismus zu tappen: Er schafft für alle Sonderwünsche das passende Angebot, also auch für ethisch motivierte VeganerInnen. Aber derweil wird weitergeschlachtet – genau wie trotz „Biobooms“ weiter gespritzt und Leben zerstört wird. Ganz abgesehen davon, dass vegan nicht gleich ökologisch und ökologisch nicht gleich gerecht ist.
Für grundlegende Veränderungen brauchen wir die gesellschaftliche Diskussion über die Tierhaltung ebenso wie über unser Wirtschaftssystem. Wir brauchen aber auch den Konflikt und den Kampf – u. a. den Kampf gegen die Macht und die Propaganda-Maschinerie der Tierindustrie.
Ihr sagt, im Zentrum der Grünen Woche „steht nach wie vor das Marketing für Tierprodukte und industrielle Landwirtschaft“. Auf eurer Website listet ihr eine Reihe von Kritikpunkten auf. Auf welche Weise steht die Messe für diese kritisierten Aspekte?
Die Grüne Woche ist die weltgrößte Messe für Landwirtschaft und Ernährung. Zahlreiche zentrale Akteure wie Unternehmen und Institutionen sind auf der Messe als Aussteller vertreten. Gleichzeitig finden während der Messe Fachveranstaltungen für verschiedene Branchen wie das „Frische Forum Fleisch“ statt. In diesem Sinne repräsentiert für uns die Grüne Woche das herrschende Landwirtschaftssystem.
Zugleich ist aber die Messe auch eine große Werbeveranstaltung für eben dieses System, denn überall wird versucht, die negativen Aspekte auszublenden oder zu verharmlosen und die gegenwärtige Praxis – sei es in der Tierhaltung, im Ackerbau, im globalen Handel oder anderen Bereichen – in ein positives Licht zu rücken. Diese Propagandafunktion der Messe möchten wie „demaskieren“.
Und der Deutsche Bauernverband, dem ihr die „Rosa Brille“ verleiht, sowie der Erlebnisbauernhof sind quasi die Paradebeispiele für diese Augenwischerei?
Ja. Der Bauernverband ist auf vielfältige Weise auf der Grünen Woche vertreten: Auch an der Gestaltung des ErlebnisBauernhofs ist er beteiligt, denn dabei handelt es sich um ein Projekt der „Fördergemeinschaft Nachhaltige Landwirtschaft“ (FNL). Dieser Verein hat mit Nachhaltigkeit nur insofern etwas zu tun, als es sich um einen guten Werbeslogan handelt. Es ist ein Zusammenschluss von Unternehmen und Interessenverbänden der Agrarindustrie, darunter der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft, BASF, Monsanto und eben auch der Bauernverband.
Daneben wird der Bauernverband sich noch an einem eigenen Messestand mit Broschüren wie dem „Leitbild Nutztierhaltung“ oder dem „Meat Magazin“ präsentieren. Außerdem tritt er noch in Gestalt der „information medien agrar“ auf, die Lehrmaterialien und Führungen für Kinder und Jugendliche anbietet.
Auf all diese Weisen nutzt der Verband die Grüne Woche für seine Öffentlichkeitsarbeit. Dabei verfolgt er unserer Einschätzung nach eine Doppelstrategie: Einerseits beschönigt und verharmlost er die Gewalt, die Tieren im Rahmen der Nutzung zur Produktion von Fleisch, Milch und Eiern angetan wird, auf bisweilen groteske Weise. So zum Beispiel, wenn er auch die grausamste Gefangenhaltung, Verstümmelung und Tötung von Tieren als „tiergerecht“ bezeichnet oder Tiertransporte als Tierschutzmaßnahme vermarktet.
Gleichzeitig hat die Industrie aber eingesehen, dass in Anbetracht der Verfügbarkeit realistischer Informationen und Bilder aus Ställen und Schlachthöfen diese Beschönigung nur bedingt überzeugend ist. Daher versucht er unter den Schlagworten „Transparenz“ und „Versachlichung“ der Bevölkerung die Idee abzugewöhnen, dass Tiere als fühlende Lebewesen überhaupt unseren Respekt und unser Mitleid verdienen. Sie müssen stattdessen als Waren und Ressourcen angesehen werden, deren einziger Zweck in der Herstellung von Produkten und der Erwirtschaftung von Profit liegt.
Ist euer Eindruck, dass diese Strategie des DBV funktioniert?
Ja, wir denken schon, dass der DBV mit seinem Marketing oft erfolgreich ist. Viele Menschen akzeptieren schreckliche Dinge ziemlich leicht, wenn sie sie nur auf die richtige Weise präsentiert bekommen. Im „Schweinemobil“ z. B. zeigt der Bauernverband (bzw. die FNL) vergleichsweise realistisch, wie Schweinehaltung heute aussieht – die Größe der Bucht stimmt ebenso wie der Spaltenboden, wenn auch die Schweine, die oft mit ausgestellt werden, natürlich gerne recht jung und möglichst unverletzt sind. Viele BesucherInnen finden die Ausstellung gut, zumindest wenn man der Darstellung der Veranstalter selbst glauben kann – obwohl man doch unseres Erachtens dort sehen müsste, dass eine solche Bucht für so neugierige und kluge Tiere keine geeignete Umgebung darstellt. Aber genauso finden viele Menschen beim Besuch von Bio-Milchhöfen die Kälber in den Kälberiglus einfach süß ohne darüber nachzudenken, warum sie dort isoliert von ihren Müttern stehen. Und es kommt sogar vor, dass Versuchs-Kühe mit einem Loch in der Seite, durch das man in den Verdauungstrakt hineingreifen kann, bei Forschungseinrichtungen am Tag der Offenen Tür ausgestellt werden und sich darüber kaum jemand aufregt. Es hängt eben sehr stark vom Kontext ab, wie man etwas findet. Auch deshalb wollen wir uns in diese Propaganda-Maschine einmischen – um den Kontext zu stören und aufzuzeigen, was an der Darstellung problematisch ist.
Was ist euer Ziel für dieses Jahr und gibt es geplante Aktionen, zu denen ihr schon etwas verraten wollt?
So wie letztes Jahr wollen wir zum einen der Propagandamaschinerie der Grünen Woche etwas entgegensetzen und den Messeablauf stören. Zum anderen wollen wir aber auch die MessebesucherInnen und auch andere Menschen mit unserer Kritik erreichen und dazu anregen, das Präsentierte nicht einfach unhinterfragt hinzunehmen. Die erste Aktion diesen Jahres war die Verleihung der „Rosa Brille für exzellente Öffentlichkeitsarbeit und professionelle Meinungsmache“ an den Bauernverband am Dienstag den 13.1. Auf die Hintergründe dafür sind wir ja schon weiter oben eingegangen. Am Donnerstag, den 15.1., gab es einen Online- und Telefonaktionstag. Dabei waren alle dazu aufgerufen in sozialen Netzwerken auf die Verlogenheit der Messe hinzuweisen. Die Veranstaltungsreihe „Umweltpolitische Themenwochen“ wird in 8 Vorträgen auf verschiedene Aspekte der gegenwärtigen Landwirtschaft eingehen. Es geht um die zerstörerischen Folgen unseres kapitalistischen (Land-)Wirtschaftssystems, um die ethische Legitimität der Tierausbeutung, um die Methoden der Werbeindustrie, um Möglichkeiten für Protest und Widerstand und um Alternativen für eine gerechtere, bedürfnisorientierte und ernsthaft nachhaltige Landwirtschaft. Begleitet wird die Veranstaltungsreihe durch die Bilderausstellung „Plakate gegen Massentierhaltung“ von Denis Becker.
Am Messegelände selbst werden wir mit Kundgebungen an insgesamt 5 Tagen präsent sein. Auch Animal Rights Watch wird mit dem ARIWA-Mobil und einem eigenen Infostand vor Ort sein. Am Freitag den 16.1. werden wir 15:30 Uhr ein Die-In vor dem Frische Forum Fleisch veranstalten, um auf die Opfer der kapitalistischen Landwirtschaft aufmerksam zu machen. Und zur „Wir haben es satt!“ Demo am 17.1. mobilisieren wir für einen Tierbefreiungsblock, um eine grundsätzlichere Kritik am kapitalistischen Landwirtschaftssystem anzubringen, dass immer mit der Ausbeutung von Mensch, Tier und Umwelt verbunden ist. Wir wollen zudem deutlich machen, dass eine „artgerechte Tierhaltung“ per se nicht möglich ist und ein Ende der Megaställe deshalb nicht ausreicht, sondern dass wir eine vollständige Abkehr von der Tiernutzung brauchen.
Gutes Stichwort. Ihr kritisiert die „Wir haben es satt“-Demo, die anlässlich der Grünen Woche stattfindet. Nach der Kritik erscheint es gar nicht so naheliegend, sich an der Demo zu beteiligen. Warum tut ihr es dennoch?
Natürlich gehen uns die Forderungen der „Wir haben es satt!“ Demo nicht weit genug. Statt nur der Schließung von Megaställen fordern wir eine Totalabkehr von der Tierhaltung. Auch erscheint die Forderung nach einer kleinbäuerlichen Landwirtschaft innerhalb des kapitalistischen Wirtschaftssystems naiv. Trotzdem haben wir uns dieses Jahr dazu entscheiden, für einem Demoblock zu moblisieren, damit unsere Positionen dort auch vertreten sind. Denn eine Kritik zu haben, bringt aus unserer Sicht nicht viel, wenn sie sich nicht auch in die Diskussionen einbringt. Wir glauben auch, dass die Menschen auf der „Wir haben es satt!“ Demo empfänglicher für unsere Positionen sind, als z. B. die Menschen, die zur Grünen Woche gehen. Wir wollen daher viele Flugblätter zu unserer Tierbefreiungsposition und mit der Ankündigung unseres Vortrags zu Biohaltung am Samstagabend unter die Leute bringen. Außerdem bietet so ein Demoblock einen guten Anknüpfungspunkt für die Mobilisierung von Menschen von außerhalb Berlins.
Bei euch können ja auch emanzipatorisch aktive Menschen mitmachen, die nicht die vollständige Befreiung nichtmenschlicher Tiere anstreben. Passiert das, und wie klappt diese Zusammenarbeit?
Es gibt viele Punkte an der modernen Landwirtschaft zu kritisieren. Nicht nur die Tiernutzung. Auß diesem Grund wünschen wir uns Menschen und Gruppen in dem Bündnis, die den Fokus auf z. B. Gentechnikeinsatz, Pestizideinsatz, Menschenrechtsverletzungen, Umweltzerstörung usw. legen. Leider ging das dieses Jahr auch wieder nicht auf. Zwar werden in unserer Vortragsreihe ReferentInnen von „Rettet den Regenwald“ und Jörg Bergstedt das Themenfeld erweitern, sodas nicht nur Kritik an der Ausbeutung von Tieren im Vordergrund steht. Aber Gruppen mit anderem Themenschwerpunkt, die sich auch mit eigenen Aktionen beteiligen wollen, wird man auch dieses Jahr im Bündnis vergeblich suchen.
Ihr sucht noch nach Menschen, die euch unterstützen. Wenn ich bei euch mitmischen will – was erwarten mich für Menschen und Strukturen?
Eine Kerngruppe von etwa 10 Leuten und eine Peripherie von einigen weiteren. Wir haben uns im Vorfeld der Grünen Woche regelmäßig zu großen Plena getroffen und daneben in Kleingruppen an einzelnen Themen gearbeitet wie einzelne Aktionen vorbereitet, Flyer entworfen, Pressemitteilungen geschrieben, die Homepage strukturiert usw. Im Moment gibt es natürlich sehr viel zu tun, eine Flut von Emails und häufige Treffen. Wir versuchen eine möglichst hierarchiefreie Gruppe zu sein und Entscheidungen per Konsensprinzip zu treffen. Wir sind von unseren Charakteren, Hintergründen und Fähigkeitsschwerpunkten recht unterschiedlich – also dafür, dass wir doch alle vegane TierbefreiungsaktivistInnen zwischen 20 und 35 sind. Wir arbeiten aber meist ziemlich harmonisch zusammen und ergänzen uns. Und viel Spaß macht es auch!
Für diese Saison ist die meiste Vorbereitung leider schon gelaufen, sodass man jetzt eigentlich nur bei den Mahnwachen, Infoveranstaltungen und Flyeraktionen noch unkompliziert einsteigen kann (siehe Termine). Wenn ihr aber unabhängig von uns etwas auf die Beine stellen wollt, können wir das aber natürlich gerne mit bewerben. Aber wer sich bei der Planung für nächstes Jahr mit einbringen möchte, möge sich gerne unter aktionen-gruene-woche@riseup.net melden.
Vielen Dank für das Interview! Wir wünschen euch alles Gute, viel Spaß und erfolgreiche Aktionen!
Zuletzt noch eine kleine Vorankündigung: Wir werden 5 % unseres Bestellaufkommens vom 19. bis 25. Januar an das Bündnis spenden, um die vergangene und künftige Kampagnenarbeit ein wenig zu unterstützen.
Alle Videos sind von 2014! Die Abbildungen sind vom Aktionsbündnis „Grüne Woche demaskieren“.