Neujahr im „Jungle“ von Calais

Ich hoffe, ihr seid alle gut ins Neue Jahr gekommen. Ich habe Silvester in einem Refugee-Camp im Norden von Calais (Frankreich) verbracht und mag meine Eindrücke mit euch teilen. Zusammen mit zwei Freund*innen habe ich mich am 28.12. auf den Weg gemacht. Da wir nur eine Woche zur Verfügung hatten, haben wir uns, statt in den Balkan oder nach Griechenland zu reisen, entschieden dorthin zu fahren, uns einen Eindruck von der momentanen Situation zu verschaffen und die Menschen vor Ort zu unterstützen, wo es uns möglich war.

Der „Jungle“ ist eine bedrückende aber auch beeindruckende kleine „Stadt“ aus Zelten und Hütten, mit kleinen Restaurants, einer Kirche, einer Moschee, einem Theater, einer Schule – alles aus Zelten, Paletten, Planen und Decken gebaut – und Matsch und Müllbergen, stinkenden Dixi-Toiletten und Kälte (besonders in der Nacht). In ihr (über-)leben zur Zeit ca. 6.000 – 7.000 Menschen mit der Hoffnung und Hoffnungslosigkeit irgendwie nach England zu kommen. Dies auf legalem Weg zu tun, wird ihnen untersagt, weshalb sie oft lebensgefährliche Risiken auf sich nehmen müssen (24 Todesfälle wurden allein in 2015 dokumentiert).

Jeden Tag kommen neue Menschen an, werden von ehrenamtlichen Helfer*innen fürs Erste mit Zelten und Decken versorgt, damit sie nicht unter freiem Himmel schlafen müssen – eine sehr prekäre Situation. Wer würde freiwillig im Winter ausgestattet mit einer Decke zelten gehen – und das auf unbestimmte Zeit?

Als wir aus dem Auto steigen, fragt mich ein Mann in Flip-Flops, ob ich mit ihm die Schuhe tauschen würde. Nein, ich habe keine anderen dabei, aber an Schuhen mangelt es, wie an so vielem anderen.

Einige Kilometer vom Camp entfernt steht ein „Warehouse“, in dem ankommende Sachspenden sortiert und deren Verteilung organisiert werden. Hier arbeiten sehr viele Freiwillige. Lieferwagen fahren von dort aus täglich in den „Jungle“. Falls ihr auch nach Calais fahren wollt, könnte u. a. das Warehouse eine Anlaufstelle für euch sein. Es liegt in der Rue Clement 56 in Calais.

Wir haben in einem Projekt direkt im Camp mitgeholfen. Nahe am Eingang entsteht basierend auf der Idee Zimako Jones‘, der konstant vor Ort ist und versucht alle Freiwilligen zu delegieren und Material anzuschaffen, eine Schule (die „Ecole Laïque du Chemin de Dunes“), eine Art Krankenhaus, Schlafräume für Lehrer*innen und Krankenpfleger*innen und ein Gemeinschaftsraum. Als wir ankamen, standen die „Häuser“ schon. Wir haben Böden mit Paletten ausgelegt, Wände im Innenbereich mit Decken isoliert, Müll eingesammelt, aber auch einige Migranten (tatsächlich nur Männer) kennen gelernt. Wir wurden zum Essen eingeladen, haben in provisorischen Hütten mit ihnen Tee getrunken, gelacht und fast vergessen wie beklemmend ihre Situation ist. Bis einer meinte, er wolle zu einem Schiff schwimmen. Er sei ein guter Schwimmer und könne es schaffen. Bei der Vorstellung wurde mir schlecht. Das „Camp“ ist kein Zuhause, keine*r will hier bleiben, alle möchten weiter. Diesen Ort dürfte es eigentlich gar nicht geben. Unsere Reise hat mich wieder einmal deutlich meine Privilegien spüren lassen. Ich weiß, dass ich einfach fahren kann, wenn es mir zu kräftezehrend wird, ich habe ein Zuhause und meine Freund*innen und meine Familie leben in Reichweite. Den Menschen in Calais müssen – auch innerhalb Europas – ihr Leben riskieren, um sich wenigstens eine neue Basis schaffen zu können.

Ich möchte mit den Worten einer Unterstützer*innen-Website schließen:

We believe in freedom of movement is for everybody and not just the rich and white. Everybody should be able to move to wherever they want, whenever they want and for whatever reason they want. The horror of the current situation is that those with the most important reasons to move are also the ones most restricted and criminalised for doing so.

^Deni

https://calaismigrantsolidarity.wordpress.com/
http://calaismigrantsolidarity.blogsport.de/
https://www.google.com/maps/d/viewer?mid=zddfRUtGScOc.kQBgTQcoV5FM&hl=en_US

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