Letztes Jahr haben wir euch schon das Watch The Med Alarmphone vorgestellt – eine Initiative zur Unterstützung Flüchtender, die auf dem Mittelmeer in Seenot geraten. Das Projekt wird unter anderem von Afrique-Europe-Interact getragen, die wir euch sehr gerne diesen Monat vorstellen wollen.
Und natürlich geht auch diesmal eine Spende an Afrique Europe Interact, und zwar spenden wir 10 % eures Bestellwertes vom 19. bis 25. Februar!
Afrique-Europe-Interact ist vermutlich vielen kein Begriff. Wer seid ihr, und was macht ihr?
Afrique-Europe-Interact (AEI) ist ein kleines, transnational organisiertes und ausschließlich ehrenamtlich arbeitendes Netzwerk, das Anfang 2010 gegründet wurde. Beteiligt sind Basisaktivist*innen vor allem in Mali, Burkina Faso, Togo, Guinea, Tunesien, Marokko, Deutschland, Österreich und den Niederlanden – unter ihnen viele Geflüchtete, Migrant*innen und Abgeschobene. Politisch verfolgt AEI eine doppelte Programmatik: Einerseits verteidigen wir die Rechte von Geflüchteten und Migrant*innen, was nicht nur bedeutet, die repressive Migrationspolitik der EU öffentlichkeitswirksam zu kritisieren, sondern auch den daraus resultierenden Entrechtungen praktisch-solidarisch entgegenzutreten, z. B. durch die Mitarbeit beim Watch the Med Alarmphone und Aktionen gegen Abschiebungen. Andererseits unterstützen wir in mehreren afrikanischen Ländern Initiativen von Betroffenen, u. a. gegen Landgrabbing und innerstädtische Vertreibungen. Diese zweite Zielsetzung steht im Kontext unseres grundsätzlichen Anspruchs, die strukturellen Hintergründe von Flucht und Migration und somit die Forderung nach gerechter bzw. selbstbestimmter Entwicklung zum Thema zu machen. Verknüpft sind beide Schwerpunkte durch die Devise: „Für das Recht zu bleiben und das Recht zu gehen“.
Wie kam es zu den Kontakten, insbesondere zu Beginn nach Togo und Mali?
In Togo ist die Assoziation der Abgeschobenen Togos (ATE) in Sokodé Teil unseres Netzwerks. Viele der Aktivist*innen sind aus Deutschland abgeschoben worden und die Verbindungen bestehen schon seit damals. Die aktuellen politischen Proteste in Togo beschäftigen uns gerade sehr viel, nicht zuletzt, weil viele AEI-Aktivist*innen in Europa ursprünglich aus Togo kommen. Die Kontakte nach Mali sind im Rahmen der ersten großen Aktion von AEI entstanden, einer dreiwöchigen „Karawane für Bewegungsfreiheit und gerechte Entwicklung“, die Anfang 2011 auf Initiative der in Bamako ansässigen AME (Assoziation der Abgeschobenen Malis) stattgefunden hat: Rund 250 AktivistInnen, die meisten aus Mali, haben sich an der Bustour von der malischen Hauptstadt Bamako zum 11. Weltsozialforum in Dakar/Senegal beteiligt – einschließlich zahlreicher Aktionen und Versammlungen mit der lokalen Bevölkerung entlang der Route. Auch die Kontakte zu den Aktivist*innen in Burkina Faso sind damals entstanden und die Leute von Faso Kele, die in Guinea gerade ein ökologisches Künstler*innendorf aufbauen, waren auch schon auf der Karawane dabei. Außerdem haben wir Kontakte in Marokko und Tunesien geknüpft, zum einen zu subsaharischen Migrant*innen, die dort gestrandet sind, z. B. 2011-2014 im Lager Choucha an der tunesischen Grenze zu Libyen, zum anderen aber auch zu dortigen Menschenrechtsorganisationen und Gruppen wie denen, die beim Alarmphone Tunis aktiv sind.
Stichwort “Gestrandete Migrant*innen”: Letztes Jahr haben wir das Watch The Med Alarmphone für das Mittelmeer vorgestellt. Nun seid ihr auch an dem Aufbau eines Alarmphones für die Sahara beteiligt. Warum ist das notwendig?
Auch in der Wüste verlieren jedes Jahr unzählige Menschen ihr Leben. Offizielle Daten darüber gibt es keine, aber Migrant*innen, die die Wüste durchquert haben, und auch Akteure aus den unmittelbar betroffenen Ländern gehen davon aus, dass die Zahlen ähnlich hoch wie im Mittelmeer sind. Und genau wie im Mittelmeer führen auch in der Wüste stärkere Kontrollen und Kriminalisierung dazu, dass die Reise immer gefährlicher wird und noch mehr Migrant*innen ums Leben kommen. Das Alarmphone Sahara will zum einen Migrant*innen verlässliche Informationen zur Verfügung stellen, damit sie nicht abhängig sind von Fehlinformationen von Schleppern oder internationalen Organisationen wie etwa der Internationalen Organisation für Migration (IOM), einer seit Herbst 2017 der UNO angegliederten Organisation, der es vor allem um Verhinderung von Migration geht. Wir wollen Todesfälle und Gewalt gegen Migrant*innen dokumentieren und so mit der Forderung nach sicheren und legalen Flucht- und Migrationswegen versuchen, öffentlichen Druck in den betroffenen Ländern, aber auch in Europa, zu machen. Als drittes soll es auch darum gehen, eigene Rettungsmissionen zu versuchen, wenn zum Beispiel ein Fahrzeug in der Wüste liegen bleibt. Als ersten Schritt dazu wollen wir demnächst in Agadez, im Norden von Niger, ein Büro eröffnen.
Welche Projekte und Kampagnen werden ansonsten derzeit von euch besonders unterstützt?
In Mali unterstützen wir mehrere Dörfer in ihrem Kampf gegen Landgrabbing, unter anderem im Rahmen einer aus Afrique-Europe-Interact hervorgegangenen bäuerlichen Basisgewerkschaft. Außerdem spielen Migration sowie die gesellschaftliche Krise im Norden des Landes eine wichtige Rolle. In Togo, Tunesien, Marokko und Deutschland unterstützt AEI Geflüchtete, Migrant*innen und Abgeschobene (bzw. ihre Familien) in ihren Kämpfen um gleiche Rechte. Neben diversen politischen Aktivitäten gehört hierzu auch ein von AEI gegründetes Rasthaus für Migrantinnen und ihre Kinder in Rabat. Die Frauen können bis maximal drei Monate dort bleiben, viele haben während der Wüstendurchquerung massive sexualisierte Gewalt erfahren. In Burkina Faso hat AEI den Sturz des langjährigen Diktators Blaise Campoaré und den anschließenden Transformationsprozess seit Oktober 2014 solidarisch begleitet, woraus unter anderem ein 90-minütiger Dokumentarfilm entstanden ist. Außerdem spielt in Europa, insbesondere in Deutschland und Österreich, auch die auf Nord-Süd-Fragestellungen fokussierte Öffentlichkeitsarbeit eine wichtige Rolle – sei es durch Publikationen, Veranstaltungen oder die Produktion von Filmen. In diesem Zusammenhang hat Afrique-Europe-Interact vom 6. bis 8. Oktober 2017 zusammen mit Akteur*innen aus der Klima- und Postwachstumsbewegung in Leipzig eine 2,5-tägige Konferenz unter dem Titel „Selbstbestimmt und solidarisch! Konferenz Migration, Entwicklung und ökologischer Krise“ organisiert, an der 700 Menschen teilgenommen haben.
Sehr wichtig ist auch, in der EU aktiv zu sein. Denn die Politik der EU und der einzelnen Staaten hat oft auch für andere Staaten Konsequenzen. Könnt ihr ein paar konkrete Beispiele nennen, und welche Folgen daraus ihr für Afrika bzw. Teile Afrikas feststellt?
Das ist eigentlich ein Thema, das nicht in ein paar Sätzen abzuhandeln ist. Zum einen hat natürlich die EU-Migrationspolitik ganz konkrete und beabsichtigte Auswirkungen in den afrikanischen Herkunfts- und Transitländern, die nicht nur Flüchtende betreffen. Zum Beispiel behindert die Schließung innerafrikanischer Grenzen nicht nur die Migration, sondern auch den wirtschaftlichen Austausch zwischen afrikanischen Ländern. Ganz konkret ging z. B. im Niger vor kurzem eine Buslinie von der Hauptstadt Niamey nach Agadez, einem Knotenpunkt von Migration in Richtung Libyen, aufgrund ständiger Ausweiskontrollen pleite, und die Beschlagnahmung von Autos und die Verhaftung angeblicher Schlepper (die früher v. a. im Sahara-Tourismus tätig waren) führte zum Verlust von Einkommen zahlreicher Familien. Wirtschaftsverträge und sogenannte Entwicklungshilfe-Abkommen mit afrikanischen Staaten werden immer stärker mit der Bedingung des Kampfs gegen “illegale” Migration verknüpft – durch schärfere Grenzkontrollen, Einführung biometrischer Ausweise, Rückübernahme nicht nur von Staatsangehörigen, sondern auch von Transitmigrant*innen etc. Bisher wehren sich zwar einige Regierungen, z. B. die Malis, noch gegen solche Rückübernahmeabkommen, da sie selbst ja auch ein Interesse an Migration, vor allem an den Rücküberweisungen der Migrant*innen, haben und es viele Proteste gibt. Aber der Druck wird immer größer.
Zum anderen wird durch die aufgezwungene Liberalisierung des Handels, durch Landgrabbing, durch Leerfischen der Meere durch technisch überlegene europäische Fischfangflotten und viele andere Maßnahmen die wirtschaftliche Situation für die große Mehrheit der afrikanischen Bevölkerung immer prekärer, Korruption und auch politische Konflikte nehmen zu. Das heißt, Fluchtursachen werden nicht beseitigt, wie von Politiker*innen behauptet wird, sondern noch weitere geschaffen. Und weil legale Migrationsmöglichkeiten, die es vor Einführung des EU-Visaregimes in den 1990er Jahren gab, und sichere Fluchtwege heute fehlen, nehmen viele Menschen immer gefährlichere Routen in Kauf.
Ihr seid ein breites Netzwerk, über Ländergrenzen hinweg, aber auch innerhalb Deutschlands ist das wahrscheinlich nicht so einfach. Wie organisiert ihr die Zusammenarbeit von Aktivist*Innen, die über große Distanzen verteilt sind und aus recht unterschiedlichen Zusammenhängen kommen?
Wie schon gesagt, kennen viele von uns einander von gemeinsamen Aktionen und Konferenzen in afrikanischen und (sofern Einladungen möglich sind) europäischen Ländern. Solche Treffen und gemeinsame Aktivitäten, wie z.B. die Bamako-Dakar-Karawane, kosten natürlich viel Geld und sind aufgrund unserer begrenzten finanziellen Mittel nicht allzu häufig möglich. In der Zwischenzeit bleibt der Kontakt über das Internet (e-mail-Listen, WhatsApp-Gruppen, facebook), aber in vielen afrikanischen Ländern sind die technischen Verbindungen nicht so gut wie hier und Aktivist*innen können sich meist keine eigenen Computer leisten. Deshalb ist auch dabei Unterstützung nötig, z. B. bei der Anmietung und Ausstattung von Büros der AEI-Aktivist*innen in afrikanischen Ländern.
Klar ist, dass die politische Arbeit hier und dort unter sehr unterschiedlichen Bedingungen stattfindet. Kriminalisierung und Verhaftungen, schon bei friedlichen Demonstrationen, sind z. B. in Togo Alltag. Und die meisten Aktivist*innen in afrikanischen Ländern haben kein Geld, um auch nur zu einem Treffen in der Hauptstadt zu fahren, weshalb auch dies oft aus Spenden an AEI finanziert werden muss.
Hier in Deutschland müssen Geflüchtete in Lagern weitab von großen Städten leben und haben schon allein deshalb Probleme, sich zu organisieren und an die Öffentlichkeit zu gehen. Fahrtkosten zu unseren regelmäßigen Treffen (3-4 mal im Jahr für ein Wochenende), Konferenzen und gemeinsamen Aktionen z. B. gegen Abschiebungen und für die Rechte von Geflüchteten müssen deshalb auch weitgehend aus der AEI-Kasse bezahlt werden. Außerdem können bei weitem nicht alle AEI-Mitglieder hier Deutsch oder Englisch, sondern sprechen Französisch oder andere Sprachen, so dass Übersetzung bei Treffen und von schriftlichen Texten organisiert werden muss und der elektronische Austausch mehrsprachig ist. Wichtig ist uns, dass alle die Möglichkeit haben, zu Wort zu kommen und wir versuchen, auf Augenhöhe zu kommunizieren und zusammen zu arbeiten.
Wie nehmt ihr die Solidarität mit euren Anliegen in Europa wahr? Mein Eindruck ist, dass es sehr schwierig ist, Menschen für Themen zu mobilisieren, die sie nicht direkt greifbar betreffen, und man selten zum Beispiel eine nennenswerte Menge Aktivist*Innen zusammenbekommt, wenn etwas nicht direkt vor der eigenen Haustür geschieht.
Das stimmt. Wir erhalten zwar sehr viel positives Feedback für unsere Aktivitäten, vor allem für den Versuch, südliche Perspektiven bzw. Positionen in Europa stärker zur Geltung zu bringen. Und sicher beschäftigen sich auch mehr Menschen als früher in Bezug auf Afrika kritisch mit dem Kolonialismus und rassistischen Kontinuitäten. Aber praktisch einbringen wollen sich nur wenige, vor allem wenn es darum geht, zusammen mit Aktivist_innen aus afrikanischen Ländern politischen Druck aufzubauen. Gegen das neoliberale TTIP-Freihandelsabkommen konnten Hunderttausende mobilisiert werden, aber gegen so desaströse Abkommen wie die EPA-Verträge (Economic Partnership Agreements) zwischen Europa und Afrika ist das nie gelungen. Da ist in Europa eine gewisse Distanz zu spüren, wahrscheinlich auch ein Erbe des Kolonialismus.
Andererseits: Durch die Selbstorganisierung vieler Geflüchteter und Aktionen in der Öffentlichkeit, vor allem im “Sommer der Migration” 2015, aber auch schon vorher, wurde zumindest in Deutschland und anderen europäischen Ländern erreicht, dass die Situation, Probleme und Forderungen auch afrikanischer Menschen näher gerückt sind und mehr Solidarität in breiteren Kreisen entstanden ist. Aus der zunächst nur humanitären Unterstützung ist zum Teil auch politisches Interesse und Engagement entstanden. Bei unseren Veranstaltungen und Aktionen nehmen wir das wahr, auch wenn in den Mainstream-Medien und auf der Ebene der Regierungspolitik andere, gefährliche Tendenzen unübersehbar sind. Rassistische Argumente und Angriffe nehmen zu und rechtspopulistische Parteien gewinnen an Zulauf. Gerade deshalb müssen wir gemeinsam in Europa und mit Aktivist*innen in Afrika noch deutlicher machen, wie die Probleme hier und dort zusammenhängen und für was für eine Politik wir kämpfen.
Zu guter Letzt: Was wünscht ihr euch von den Menschen, die diesen Blogbeitrag lesen?
Wie in einigen Sätzen schon deutlich geworden ist, sind wir dringend auf finanzielle Unterstützung angewiesen und freuen uns auch über jeden kleinen Geldbetrag – noch mehr natürlich über größere Spenden. Aber noch wichtiger ist uns, Interesse an unseren Inhalten und Aktivitäten zu wecken und vielleicht auch neue Mitstreiter*innen zu gewinnen.
Vielen Dank für das Interview!
Wie anfangs erwähnt, gehen 10 % eures Bestellwertes vom 19. bis 25. Februar an Afrique-Europe-Interact. Darüber hinaus seid ihr natürlich herzlich eingeladen, direkt zu spenden, oder gar selbst aktiv zu werden.
Ganz zum Schluss haben wir noch ein paar passende/hilfreiche Empfehlungen aus unserem Sortiment:
- Nichtstun ist keine Lösung – Hilal Sezgin darüber, was uns bremst und warum andere uns bremsen. Und warum wir dennoch aufstehen und aktiv werden sollten.
- Aftershock – viele Aktivist*innen setzen sich Tag für Tag mit grausamen Gegebenheiten auseinander, aus erster wie aus zweiter Hand. Teilweise sind sie auch direkt in traumatisierende Situationen involviert. Aftershock ist für genau diese Menschen und ihre Unterstützer*innen
- Refugees Welcome! – Soli-Artikel
- Total Liberation – Hier geht es um Aktivismus, der nicht auf Kosten anderer Kämpfe Erfolge feiern will, sondern die Gemeinsamkeiten und Verknüpfungen der verschiedenen Bewegungen betont
- Aphro-Ism – Hier findet ihr Texte von Aph und Syl Ko, die in neue Konzepte münden, wie Afrofuturismus und Schwarzer Veganismus zusammen gedacht werden können
- Deutschland Schwarz Weiß – Noah Sow nimmt euch mit auf eine Selbsterkenntnis- und Senisibilisierungsreise zum Thema Rassismus.
- re-visionen – In diesem Buch setzen sich verschiedene Personen of colour mit Rassismus, Islamophobie und ausgrenzenden Migrations- und Integrationsregimes auseinander und diskutieren Fragen von individuellem und kollektivem Widerstand, antirassistischer Kulturpolitik und postkolonialen Denkansätzen
- Widerstandsbewegungen – dieses Buch zeigt die Bandbreite antirassistischer Aktionsformen und Interventionsmöglichkeiten auf und richtet einen schlaglichtartigen Blick auf die Geschichte antirassistischen Widerstands.